Anatomie einer Crowdfunding Kampagne
Nachdem wir unser Buch New Work needs Inner Work erfolgreich mit der Crowd finanzieren konnten, möchte ich mich für die viele Unterstützung auch dadurch bedanken, dass ich unsere Erfahrungen weiterreiche. Der Titel meines Blogposts lehnt sich dabei an die wesentlich ausführlichere Beschreibung eines noch erfolgreicheren Buchprojekts an, die mir wiederum als Vorbild diente.
Eines der Dinge, die mich am digitalen Zeitalter so begeistert ist die Tatsache, dass wir uns als Menschen so viel mehr ausdrücken und unsere Umgebung gestalten können. Als ich in den 1990ern und 2000ern meine ersten Bücher schrieb (Tanz der Kulturen, Maxikulti, Seeing Culture Everywhere), war ich auf Buchagenten, Verlage und Lektoren angewiesen, um meine Gedanken mit einer breiteren Öffentlichkeit zu teilen. Und obwohl ich eine gute Agentin, renommierte Verlage und sehr hilfreiche Lektoren hatte, fühlte sich meine Tätigkeit zu einem großen Maße fremdbestimmt an. Titel und Cover wurden von der Vertreterkonferenz entschieden und auch gegen meine Wünsche umgesetzt. Ich musste Thesen adaptieren, um sie in einen Diskurs einzufügen, den ich selbst für irrelevant hielt. Einige Manuskripte schafften die vom Buchmarkt etablierten Hürden nicht und schlummern bis heute auf mittlerweile veralteten Datenträgern.
Als Bettina Rollow und ich im Frühjahr 2018 beschlossen ein Buch zu unseren Erfahrungen mit neuen Führungsformen zu schreiben, machte ich nur einen halbgaren Versuch das Thema meiner Agentin anzubieten. Nachdem sie dankend ablehnte, war klar, dass wir es in Eigenregie umsetzen würden. Das gab mir die Freiheit das fertige Manuskript genau mit dem Grafikteam (link) umzusetzen, das es verstand die passende visuelle Sprache für unseren Text zu entwerfen. Ich konnte das Papier, den Drucker und die Buchbindung wählen, der das Buch dann zu einem Produkt machte, auf das ich wirklich stolz sein konnte. Innen (Text) und Außen (Gestaltung) passten stimmig zusammen.
Da die Buchproduktion teuer geworden war, entschieden wir uns den Druck mit einer Crowdfunding Kampagne zu finanzieren.
Ein paar Vorteile von Crowdfunding waren dabei für uns ausschlaggebend:
# Wir konnten, wie oben beschrieben, das Projekt genau nach unseren Vorstellungen umsetzen.
# Wir hatten Zugriff auf eine potentiell große Anzahl von Unterstützern, die sich mit kleinsten oder größeren Beträgen an der Vorfinanzierung beteiligen konnten. Damit waren wir unabhängig von institutionellen Gatekeepern und Geldgebern.
# Crowdfunding funktioniert wie eine Marktforschung: wir konnten anhand des Zulaufs sehen, ob wir mit unserem Angebot einen Nerv getroffen hatten oder nicht. Welche Dankeschöns kamen besonders gut an? Welchen Bedarf und welche Interessen hatte unsere Unterstützerschar?
# Über die Plattform konnten wir Netzwerkeffekte nutzen: uns bislang unbekannte Menschen wurden über die Plattform auf unser Projekt aufmerksam und unterstützten es. Dadurch konnten wir unser eigenes Netzwerk gezielt um genau die Zielgruppe erweitern, die sich genau für unser Thema interessieren (der so genannte „long tail“)
# Obwohl ich mich seit Gründung von betterplace.org 2007 mit online Finanzierungsmechanismen beschäftige, war dieses Crowdfunding für ein eigenes Produkt für mich eine Premiere. Da seitdem viele Menschen fragen, wie wir das Buch finanziert bekommen haben, fasse ich hier unsere Schritte und Erfahrungen in Form von einigen Thesen so zusammen, dass sie hoffentlich für andere nützlich sind.
Austausch mit Experten tut gut
Nach einer kleinen online Recherche war klar, dass in Deutschland Startnext die geeignetste Plattform war. (Auf betterplace.org können nur gemeinnützige Organisationen Spendeneinsammeln und unsere neue Plattform betterplace.me ist auch nicht für die Vorfinanzierung von Produkten geeignet, da man Unterstützern keine Gegenleistungen anbieten kann).
Startnext und vergleichbare Plattformen bieten alle schon online gute Informationen für Projektstarter an. Dennoch macht es meines Erachtens immer einen Unterschied, ob man sich direkt noch einmal mit den wirklichen Experten austauscht und mit ihnen das optimale Setup für seine Kampagne bespricht. Mir fällt es oft gar nicht so leicht um Hilfe zu bitten und obwohl ich die Gründer von Startnext seit langem persönlich kenne, musste ich auch dieses Mal eine kleine innere Barriere überwinden. Aber der Austausch mit einer Kampagnenberaterin von Startnext war super hilfreich und ich erhielt wertvolle Infos rund um die Kampagne, darunter best practice Beispiele für Texte, Videos und Dankeschöns (die Gegenleistungen, die man als Projektmacher seinen Unterstützern anbieten kann). Auf diese Weise hatte ich auch einen direkten persönlichen Draht zu Plattformmitarbeitern, die mir während der Kampagne mit Rat und Tat zur Seite standen.
Gute Vorbereitung braucht Zeit
Optimal ausgestattet legten wir mit der Planung los. Wie so oft war ich etwas zu optimistisch, was den zeitlichen Rahmen anbelangte. Bis wir wirklich alle Materialien für das Setup der Kampagne fertig hatten, darunter
· kurze, klare Texte
· eine Liste von ansprechenden Dankeschöns
· das Video
· eine Übersicht unserer Marketingstrategien
verging fast doppelt so viel Zeit wie ursprünglich geplant. Die Vorbereitung zog sich insgesamt über zwei Monate hin, wobei die konkrete Arbeitszeit ungefähr 10 Tage umfasste.
Diese Zeit war jedoch gut eingesetzt, denn wenn die Kampagne erst einmal freigeschaltet ist, muss die Choreographie stimmen, da es sonst schwer fällt Momentum aufzubauen.
„Authentisch gut genug“ statt perfekt
Besonders schön am Crowdfunding empfand ich, dass die Umsetzung ein sehr direkter und spontaner Ausdruck von unserem Buch (und von uns als Autorinnenpersönlichkeiten) war. So war manches recht improvisiert, machte aber viel Spaß. Als Videomacher engagierte ich beispielsweise einen guten Freund meines Sohnes, der selbst keine große Erfahrung mit Film hatte, sich aber ausprobieren wollte und das Geld (300€) gut gebrauchen konnte. Von anderen erfolgreichen Startnext Kampagnen schauten wir uns originelle Dankeschöns ab.
Verbreitung ist mindestens so wichtig wie Setup
Viele Online Fundraiser und Crowdfunder sehen ihre wichtigste Aufgabe darin eine schöne Projektseite zu gestalten. Einmal online hoffen sie darauf, dass Menschen sie im Netz finden, sich für ihr Projekt begeistern und es unterstützen. Dem ist nicht so.
Stattdessen verbrachten wir mindestens genauso viel Zeit für die Vermarktung des Projekts sobald es einmal online war, wie für das Setup. Folgende Schritte waren dafür sinnvoll:
Wir erstellten eine lange Liste von online Kanälen, auf denen wir die Kampagne verbreiten wollten. Diese umfasste unsere eigenen Social Media Kanäle (hauptsächlich twitter und facebook), blogs (z.B. mein medium Profil) und andere Plattformen (insbesondere Xing und LinkedIn). Darüber hinaus identifizierten wir thematisch passende Newsletter und schrieben diese an, damit sie auf die Kampagne hinweisen würden, darunter Xing Spielraum und Gero Hesses Saatkorn, aber auch passende Institutionen wie Co-Working Büros und Innovationshubs.
Als nächstes durchforsteten wir unsere eigenen E-Mail Adressbücher und erstellten Verteiler, die wir in Abstufungen anschrieben. Enge Freunde und Kollegen wurden in persönlichen Mails vorab über die Kampagne informiert, mit der Bitte diese gleich zu Beginn mit einem kleinen Betrag zu unterstützen. Wir wissen, das gerade die ersten Tage über den Erfolg von Crowdfundingkampagnen entscheiden und wenn Menschen, die keinen sehr engen Bezug zu den Kampagnenmachern haben, auf eine fast leere Seite kommen, gibt es wenig Anreize ihrerseits das Projekt zu unterstützen. Hat man es jedoch geschafft einen gewissen Hype zu erzeugen — indem die Kampagne gut besucht und dynamisch erscheint — lassen sich Menschen viel leichter mitreißen ebenfalls mitzumachen. Dabei hilft natürlich auch die bekannte FOMO — Fear of missing out. Über den ganzen Kampagnenzeitraum verteilt planten wir vier Verbreitungswellen, drei in den ersten 2 Wochen und eine kurz vorm Ende. Zudem fügten wir in unsere E-Mail Footer einen Hinweis auf die Kampagne ein, was sich als gute Strategie erwies, denn so wurden nochmal wesentlich mehr Menschen außerhalb meines engeren Kreises darauf aufmerksam.
In unserer Verbreitungstrategie spielten auch Offline Veranstaltungen, Vorträge und Workshops, eine Rolle. Den offiziellen Kampagnenstart hatten wir auf das Datum der New Work Experience gelegt, einer großen Konferenz, die Xing alljährlich in der Hamburger Elbphilharmonie organisiert. Da ich auf der NWE mit zwei Vorträgen (einen davon mit Bettina) eingeplant war, hatte ich genau das passende Zielpublikum vor mir und konnte auf die Kampagne hinweisen. Wir hatten auch extra Postkartenmit dem Buchcover und allen Crowdfundingdetails drucken lassen (die 100€ waren eine gute Investition) und konnten diese auslegen. Während der ganzen 6 Wochen, die die Kampagne lief, hielten Bettina und ich diverse Vorträge und luden Menschen zur Kampagne ein. Darüber hinaus schrieben wir auch alle die Veranstalter und Kunden an, bei denen wir in den Monaten zuvor über neue Führungs- und Zusammenarbeitsformen referiert hatten und baten sie die Kampagne in ihren Netzwerken zu verbreiten. In unseren überhitzten, beschäftigten Zeiten ist es dabei ratsam schon einen Tweet oder Post passgenau vorzubereiten, den die potentiellen Multiplikatoren ohne weiteren Aufwand in ihren Kanälen verbreiten können.
Neben diesen gezielten Maßnahmen gab es noch ein paar spontanere, darunter zwei Podcasts, die Interviews mit mir machten und auf die Kampagne hinwiesen. Übriggebliebene Postkarten verteilte ich in Kreuzberger Cafes und der Markhalle 9. Auf dem Kampagnenblog hielten Bettina und ich unsere Unterstützer über unsere Aktivitäten auf dem Laufenden. Ob diese sich dazu animiert fühlten die Kampagne noch mal weiter zu verbreiten weiß ich nicht. Auf jeden Fall bekamen wir einzelne, ermutigende Feedbacks für das Buch und ein besseres Gefühl für wen wir eigentlich schreiben.
Interessant ist unsere Projektstatistik: demnach kamen die meisten Seitenaufrufe (knapp 1200) direkt auf die Startseite, was dafür spricht, dass diese Nutzer von uns oder anderen direkt auf die Kampagne aufmerksam gemacht wurden. Um die 700 Nutzer kamen jeweils über eine Google oder von mobilen facebookseiten zu uns. Startnext-eigene Kanäle machen aber insgesamt auch knapp 900 Besuche aus, was für starke Netzwerkeffekte spricht. Über LinkedIn und Xing kamen noch weitere niedrige dreistellige Besucher dazu.
WIR SIND ZUFRIEDEN!
Diese Marketingmaßnahmen gingen gut auf. Die erste Woche war ein voller Erfolg, fast täglich kamen über 1000€ zusammen und wir konnten das erste, selbstgesetzte Fundingziel von 10.000€ schnell erreichen. Dann flachte das Momentum etwas ab und zeitgleich wurde uns bewusst, dass wir bei unseren Berechnungen etwas zu optimistisch gewesen waren. Nicht nur kostete die Gestaltung mehr Geld, ich hatte auch die Umsatzsteuer und das Porto für den Buchversand vergessen miteinzurechnen. Aber das Feedback der Unterstützer spornte uns auf den letzten Metern der Buchproduktion enorm an. Besonders begeistert waren wir davon, dass sich ganz viele uns bislang unbekannte Menschen beteiligt hatten. Und das diese nicht nur aus unserer Berliner Blase stammten, sondern über die ganze Republik verteilt saßen.
Schlussendlich erreichten verfehlten wir das 2. Fundingziel um gut 2.700€. Mit den eingesammelten 17.264€ (von denen wir noch Transaktionskosten und freiwillige Spende an Startnext abziehen mussten) konnten wir jedoch die Produktion weitgehend finanzieren. Schon eine Woche nach Kampagnenende wurden die druckfrischen Exemplare angeliefert und Bettina und ich machten uns ans signieren, eintüten und frankieren.
Der größte unvorhergesehene Schmerz bestand in der zu zahlenden Umsatzsteuer (die ich schlichtweg vergessen hatte einzukalkulieren), sowie der Administration rund um die auszustellenden Rechnungen, zahlreichen Nachbestellungen, unvollständigen Adressen und dergleichen. Dafür alleine verbrachten wir ein paar Tage im Büro. Mittlerweile haben wir aber alles erfolgreich abgeschlossen, inklusive der Webinare, Tagesworkshops und Vorträge.
Und jetzt erscheint das Buch in einer zweiten Auflage bei Vahlen!
Mit der Kampagne ist unsere Geschichte aber noch nicht zuende. Nachdem wir das Buch in einer ersten handverlesenen Auflage von 700€ für die insgesamt 381 Crowdfunder verlegt haben und eine einfachere Version auf amazon hochgeladen haben, konnten wir den Vahlen Verlag für eine zweite Auflage gewinnen. Vahlen ist für unser Thema erste Wahl, da dort auch schon Ferderic Lalouxs Re-Inventing Organisations und Holocracy von Robertson erschienen sind. Ab Ende September könnt ihr das Buch also auch dort und über den regulären Buchhandel beziehen. In der Zwischenzeit gab es das Buch auf amazon, wo es seit Monaten als No 1 in Organisationspsychologie rangiert.
Diese Entwicklung zeigte mich nochmals wie sehr sich der Buchmarkt verändert hat. Schon mein (mit Judith Homoki) geschriebenes Kinderbuch Edwina Ermittelt, schaffte den Sprung vom Self-Publishing hin zu einem tollen Verlag (Gestalten). Und das gleiche passierte jetzt wieder. Das (finanzielle) Risiko für Buchveröffentlichungen wandert damit auf der einen Seite vom Verlag zum Autor. Andererseits aber können Autorinnen auf diese Weise ihre Buchprojekte genau so umsetzen, wie sie es möchten. Für mich ist das ein großer Gewinn an Autonomie und ich würde immer wieder diesen Weg wählen: Erst Buch schreiben, mit der Crowd finanzieren und dann einen Verlag suchen, der die weitere Vermarktung und Distribution übernimmt.