Digital Transformation braucht Innere Innovation
Wenn eine Veränderung im Unternehmen eintritt, bleibt nichts wie zuvor — auch nicht bei den Menschen. In einer Artikelreihe, ursprünglich auf Xing geschrieben und hier nochmals veröffentlicht, gehe ich zentralen Themen der New Work Transformation detaillierter auf den Grund. In diesem Fall der Frage: “Was ist eigentlich Inner Work?”
Hinter mir liegt eine Reise, die vor fünf Jahren begonnen hat. Eine Reise, deren Ziel feststand, obwohl der Weg noch unklar war. Das Ziel: mich als Chefin des betterplace labs durch Selbstorganisation zu ersetzten — inspiriert von Federic Lalouxs „Reinventing Organisations“.
Mir war nicht bewusst, dass ich damit eine Reise antreten würde, in der ich mich selbst als Mensch nachhaltig verändern würde. Die Umstellung auf New Work Prinzipien setzte einen Prozess in Gang, der mich unweigerlich mehr mit mir selbst konfrontierte. Obwohl ich schon seit einigen Jahren regelmäßig meditierte und einige Berührungen mit Selbsterfahrung und Therapie hatte, wurde mir zu Beginn der Organisationsentwicklung deutlich, wie wenig innere Klarheit ich hatte. Ich musste lernen zwischen der Fach-/Sachebene und der Beziehungsebene im Team zu unterscheiden. Außerdem musste ich ein Gespür für den Teamprozess — also wie wir als Gruppe auf der Metaebene zusammenarbeiten — entwickeln.
Klarheit und Orientierung im Innern finden
Nach fünf Jahren New Work (Hintergrundinfo zum Transformationsprozess gibt es z.B. hier) steht für mich eines fest:
Eine Sache kommt in den meisten Change-Prozessen zu kurz — jede wirksame und nachhaltige Veränderung findet auch in der inneren Welt eines jeden Menschen statt. Nicht nur in der Welt der äußeren Strukturen und Prozesse — neuer Organigramme, neuer Entscheidungsmatrixen, neuer Wertschöpfungsketten — sondern auch in jedem selbst.
Im Zentrum unseres New Work Prozesses stand folgendes Prinzip: Wenn außen Hierarchien und feste Strukturen abgebaut werden (und damit Sicherheiten verschwinden), müssen Menschen ihre Sicherheit an anderer Stelle suchen: Sie müssen Klarheit und Orientierung in ihrem Inneren finden.
Unterschiedliche Führungsmodelle verlangen unterschiedliche äußere oder innere Kompetenzen
Was meine ich mit „Innen“?
Unter „innen“ verstehe ich unsere individuelle Subjektivität. Wie wir als Mensch die Welt und uns selbst wahrnehmen. Unsere Sinneseindrücke, unsere Gedanken, unsere Vorlieben, Werte, Interessen und Bedürfnisse.
Sichtbare und Unsichtbare Aspekte innerer Prozesse. Manche von ihnen sind uns bewußt, andere wirken im Unbewußten.
Für die Erforschung der inneren Dimension half uns das Eisberg-Modell. „Außen“ ist das, was man sehen kann: mein Verhalten und das, was ich sage, beispielsweise ob ich geduldig und freundlich oder kurz angebunden und aggressiv einem Kollegen eine Aufgabe erkläre.
Der Großteil jeder Aktion, die von außen sichtbar ist, findet jedoch im Inneren statt. Da sind meine Gedanken und Gefühle, die während der Interaktion mit meinem Kollegen in mir ablaufen. Was ich denke und fühle, ist maßgeblich davon beeinflusst, wie ich die Welt sehe: die Muster und Filter, mit denen ich die Welt interpretiere. Dies wiederum ist eng mit meinen Werten, Bedürfnissen und Interessen verbunden. Dazu kommt, dass ein Großteil meines Inneren im Unbewußten liegt und mir meist nur als diffuses Hintergrundgeräusch zugängich ist. Alles in allem eine hochkomplexe Gemengelage von Aspekten.
Wie es in unserem Inneren aussieht unterscheidet sich stark — von Mensch zu Mensch, aber auch von unterschiedlichen Gemütszuständen eines einzigen Menschen. Manchmal sieht es in mir beispielsweise so aus:
Während ich in anderen (selteneren) Situationen mich eher so empfinde:
Letzterer Zustand ist der, der bei mir nach längeren Meditationsphasen eintreten kann: dann bin ich in der Lage eine große innere Weite und Stille wahrzunehmen, in der einzelne Gedanken, Gefühle oder Sinneswahrnehmungen auftauchen und ich ruhig beobachten kann wie sie wieder verschwinden. In meinem beruflichen Alltag aber überwiegt das Gefühl der prallen Fülle oder Verwirrung und Desorientierung (Memphis).
Was ist „innere Arbeit“?
Unter innerer Arbeit verstehen wir einen Klärungsprozess, der es dem Menschen ermöglicht einen direkteren und klareren Zugang zu seinem eigenen Wesen/Inneren zu bekommen. Oft empfinden wir unseren inneren Zustand ja als höchst diffus und vielschichtig. Es fällt uns oft sehr schwer unsere aktuellen Gefühle oder Bedürfnisse präzise zu identifizieren, geschweige denn mit jemandem anderen zu teilen.
Zuerst geht es bei innerer Arbeit also darum, den Selbstkontakt zu verbessern:
- Wie geht es mir gerade wirklich?
- Was für verschiedene Gedanken gehen mir durch den Kopf?
- Welche Emotionen sind aktiv?
- Wie interpretiere ich mein Gegenüber, bin ich meiner Kollegin gegenüber offen und neutral oder bewerte ich ihr Verhalten spontan?
- Bin ich ruhig und entspannt, oder gestresst und verkrampft?
- Triggert mich etwas in der Außenwelt oder versuche ich die Situation unvoreingenommen zu verstehen und mir ein neutrales Bild von ihr zu machen?
In den meisten Begegnungen mit anderen Menschen nehmen wir uns für so eine Selbstklärung gar nicht die Zeit, sondern agieren meist spontan. Aber genau in der bewussten Beobachtung einer Situation liegt die Chance, dass wir nicht einfach nur reaktiv, sondern bewusst darauf antworten. Hierzu gibt es das schöne Zitat von Viktor Frankl: „Zwischen Reiz und Reaktion gibt es einen Raum. In diesem Raum haben wir die Freiheit und die Macht.“
Im betterplace lab nahmen wir uns in meist halbtägigen Workshops Zeit, uns selbst besser kennenzulernen. Zu verstehen, welche Bedürfnisse wir haben und wie insbesondere die zwei Grundbedürfnisse des Menschen nach Sicherheit und Zugehörigkeit auf der einen Seite und nach Selbstausdruck, Freiheit und Wachstum auf der anderen in unserem individuellen Fall verteilt waren.
Für viele von uns förderten diese Übungen erstaunliche Erkenntnisse zutage: auch wenn wir einerseits eine intime Eigenkenntnis hatten, waren die meisten von uns es nicht gewohnt sich möglichst präzise und klar über unsere Bedürfnisse und Strategien diese zu befriedigen im Klaren zu sein.
In den Workshops übten wir uns in Selbstreflexion:
- Wie agiere ich, wenn ich gestresst bin?
- Was brauche ich um mich sicher und zugehörig zu fühlen?
- Wie wichtig ist mir meine eigene Kreativität und Freiheit und welche Faktoren sind hierfür förderlich oder lähmend?
Wir lernten in diesen Übungen nicht nur uns selbst besser kennen, sondern auch wie unterschiedlich wir als Team waren. So musste ich lernen, wie oft ich von mir auf andere schloss, das heißt beispielsweise davon ausging, dass es anderen auch wichtig war, möglichst autonom zu arbeiten.
Die Welt aus der Perspektive des anderen verstehen
Vielfalt ist von außen oft nicht so sichtbar. Erst das gemeinsame, tiefere Gespräch offenbart wie unterschiedlich wir „ticken“ ,und dass es unweigerlich zu Missverständnissen führen muss, wenn wir unser eigenes Verhalten als Maßstab für das von anderen nehmen.
Unter „innere Arbeit“ fallen auch Übungen zur Empathie — aktiv zuhören, um sich wirklich dem Kollegen zu widmen. Die Welt aus der Perspektive des anderen zu sehen und mich in seine Schuhe zu versetzen. Zu verstehen, weshalb er auf eine Situation eventuell ganz anders reagiert als ich. Auf Basis seiner Erfahrungen, seiner Filter, seines Verständnisses von Welt, was ihm wichtig ist.
Ebenso wichtig ist es für selbstorganisierte Teams: einen realistischen Überblick über die im Team vorhandenen Kompetenzen zu haben. Flüssige, kompetenzbasierte Hierarchien lassen sich nur aufbauen, wenn alle Mitarbeiter wissen, wer für welche Aufgabe am besten geeignet ist. Da die meisten von uns es nicht gewohnt sind einander Schwächen und Unwissen zu offenbaren, braucht es auch hier in Team mutige, transparente Kommunikation und einen offenen Abgleich von Selbst- und Fremdbild. Ich werde in einem späteren Artikel mich noch ausführlicher mit der Praxis und den Herausforderungen von „kompetenzbasierten, flexiblen Hierarchien“ beschäftigen.
Der Blick für das Ganze
Neben dem geschärften Verständnis von sich selbst und den Kollegen, gehört zur Inneren Arbeit auch die Kompetenz die Teamdynamiken aus einer Metaperspektive wahrnehmen zu können. Denn nur so — wenn Mitarbeiter ihre Unternehmung als Ganzes auf dem Schirm haben, inklusive anderer Stakeholder wie Partner, Kunden, Zulieferer, Aktionäre etc. — können sie sie gut steuern.
Dieser Blick für das Ganze ist für viele Mitarbeiter herausfordernd, insbesondere wenn sie es vorher gewohnt waren, nur für einen Teil des Ganzen verantwortlich gewesen zu sein. Um das Bewusstsein für die Metaperspektive zu schärfen, beschäftigte sich das betterplace lab mit dem „Wir-Feld“. Das heißt wir fragten uns nicht nur „Wie geht es mir und wie geht es Dir?“, sondern „Wie arbeiten wir als Team zusammen?“. Dazu erforschten wir Themen wie „Welche kollektiven Muster entwickeln wir?“ „Wie gehen wir mit Information um? Teilen wir sie untereinander offen und kreativ, oder sind wir eher transaktional, das heißt ich gebe Dir nur eine Information, wenn ich auch von Dir etwas dafür bekomme?“ Wir beschäftigten uns mit Kommunikationsformen und erforschten Dominanzen, ebenso wie extrovertierte und introvertierte Stile.
Wenn Teams ihre „innere Seite“ erforschen, ist das eine extrem spannende transformative Reise. Sie erlangen einen besseren Kontakt zu sich selbst und ihren Kollegen, sowie eine breitere Perspektive auf die Unternehmung als ganzes. Die Reise bedeutet aber auch die Bereitschaft, aus der eigenen Komfortzone herauszutreten, sich zu trauen, aus der Konformität einer Gruppe auszusteigen, um „mehr man selbst zu werden“. Für mich ist New Work und Inner Work damit ein Prozess, der weit über die Berufswelt hinausgeht, sondern uns einlädt, als Menschen zu wachsen und zu reifen.
In unserem Buch “New Work needs Inner Work” beschreiben Bettina Rollow und ich die innere Dimension des Transformationsprozess noch ausführlicher. Die 2. Auflage ist jetzt im Vahlen Verlag lieferbar, bzw. über amazon zu bestellen.